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Trost oder Verständnis?

"Menschen, die uns verstehen, trösten uns. Die anderen lassen uns wachsen."

 

Dieser Spruch stimmt für mich nicht ganz. Für mein Verständnis müsste er so lauten: 

 

Menschen, die uns verstehen, lassen uns wachsen. Die anderen trösten uns.

 

In der Regel versucht Trost den Leidenden von seinem Gefühl wegzuführen, ihn aufzumuntern, etwas zu relativieren oder gar wegzureden. Wer kennt nicht gutgemeinte Floskeln wie: „Das wird schon wieder“, „ist doch nicht so schlimm“, „na, na, wer wird denn gleich weinen?“, usw. Oder unser Gefühl wird in einer Umarmung erstickt oder verstärkt, so dass es nicht in der uns angemessenen Zeit aufsteigen und wieder gehen kann.  Nichts gegen Umarmungen, aber alles zur richtigen Zeit. 

Als diejenigen, die trösten, dürfen wir uns auch fragen, ob wir die Gefühle des anderen aushalten können oder ob wir ihn trösten, damit sein Schmerz nicht unseren eigenen berührt, der tief in uns verborgen schlummert, und damit aufweckt. Trösten wir, um den anderen möglichst schnell ruhig zu stellen, damit auch in uns drin alles ruhig bleibt, was unter dem Deckel vor sich hin brodelt? Nehmen wir den anderen womöglich in die Arme, weil wir selber Halt brauchen, weil wir solch starke Gefühlsausbrüche nicht verkraften? Wer kann es ertragen, einfach da zu sein und nichts zu tun und nichts zu sagen und den anderen in Ruhe seine Gefühle fühlen zu lassen? 

Aber genau das ist so wichtig. Genau das öffnet den Raum für den anderen, in welchem er sein kann wie er ist und das fühlen darf, was gerade seine Wahrheit ist, so absurd sie dem Tröster vielleicht auch erscheinen mag. Gleichzeitig ist es eine wunderbare Gelegenheit für uns selbst zu fühlen, was uns da vielleicht gerade antriggert und was bei uns selbst noch gesehen und gefühlt werden möchte. Wie oft haben wir erfahren, dass unsere Gefühle nicht in Ordnung, dass sie unerwünscht waren, dass sie verleugnet wurden? Wie lange wollen wir damit noch weitermachen? Ist es nicht endlich an der Zeit, sie so zu fühlen wie sie sind und zwar dann, wenn sie da sind? 

Schenken wir Verständnis, indem wir das Gefühl bestätigen. Z.B. indem wir sagen:

„Da ist ganz viel Wut, Traurigkeit, Verzweiflung in dir.“

Das baut dem anderen eine Brücke, auf welcher er zu seinem Gefühl gehen und damit in Kontakt treten und darüber sprechen kann. 

Erst durch das Verstehen kann sich etwas lösen. Echtes Verständnis ist Mitgefühl, ist das Würdigen dessen, was da ist. Das ist der Humus, auf dem Neues wachsen kann. 

Trösten hingegen lenkt vom Fühlen ab. Nur wenn wir durch ein Gefühl hindurchgehen, können wir es integrieren. Trösten hindert uns daran. Und ja, durch Schmerz, den uns andere zufügen, wachsen wir auch, aber erst, wenn wir Verständnis erfahren haben. Durch uns selbst und/oder andere. 

Also öffnen wir Räume zum Durchfühlen und bauen wir Brücken des Verstehens für jene, die sie brauchen und stehen wie ein tief verwurzelter Baum neben ihnen, lauschen, und sind einfach da und würdigen das Gefühl und halten es aus. Nicht mehr und nicht weniger. Wenn das Gefühl durchfühlt ist, dann können wir den anderen in den Arm nehmen, wenn er das möchte, und gemeinsam den durchlebten Prozess feiern. 

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